Verbundenheit im Glockenklang
Neulich, als die Kirche in Trogen das Wochenende einläutete, löste der Klang, der sich im Tal verbreitete ein besonders andächtiges und heimeliges Gefühl in mir aus. Es hat mich dazu gebracht mir zu überlegen, womit ich den Soundtrack Gottes verbinde. Den mächtigen, tonnenschweren Kirchenglocken schreibe ich generell etwas Ehrfürchtiges zu. Ganz gleich, ob sie das Wochenende einläuten, zur Taufe begrüssen oder eine Hochzeitsgesellschaft empfangen – sie verkünden Freude. Nur an Beerdigungen mag ich sie nicht. Da sind sie die letzten Laute des Verstorbenen und hallen manchmal noch lange nach. Das zarte Gebimmel einer Geissenschelle zum Beispiel, befördert mich in Gedanken sofort auf eine Alp mit saftigen, grünen Wiesen und farbigen Blumen; ich kann dabei sogar den warmen Geschmack von frischem Heu riechen. Den satten Klang von Kuhglocken dagegen verbinde ich mit Wandern und einem gewissen Unbehagen. Ich schätze es, wenn mich das Träger-Vieh in sicherer Distanz zu mir - möglichst hinter einem stabilen Elektrozaun – komplett ignoriert.
Die Grösse der Glocke ist aber nicht massgebend für das Gefühl das sie auslöst. Ein ganz kleines Exemplar schaffte es damals, als ich noch in den Kindergarten ging, mich völlig zu verängstigen. Ich erinnere mich gut an das helle Klingeln des Nikolaus Glöckleins. Die Wohnungstür stand sperrangelweit offen. Mein Bruder, meine Cousins und ich standen – aufgeregt und wie Angeklagte - im Esszimmer der elterlichen Wohnung und warteten darauf, dass das düstere Zweiergespann näherkam, um über uns zu richten. Während sich die Jungs, die einiges älter waren als ich, feige hinter dem Tisch versteckten, stand ich alleine vorne im Raum – wie angewurzelt. Immer fand entweder der Nikolaus oder der Schmutzli etwas zu reklamieren, egal wie sehr ich mich die Monate zuvor auch angestrengt hatte. Irgendwann flog die Mär gottlob auf und ich konnte entspannt grösser werden.
Ein zartes Klingeln – jeweils ein paar Wochen später in derselben Jahreszeit – war ausnahmslos für höchste Glücksgefühle verantwortlich. Nämlich dann, wenn’s Christkind bereits auf dem Rückflug durch unser Stubenfenster entschwand und dabei noch rasch die Bescherung einläutete. In Windeseile hatte es zuvor Pulte, Tretautos, Velos, Skiausrüstungen, Möbelstücke und viele andere Geschenke kunstvoll um den Weihnachtsbaum drapiert. Und wie toll es jeweils gerochen hat; ich glaube es benutzte Shalimar von Guerlain.
Dass ich Glocken seit der Covid-19-Pandemie auch mit Nationalstolz assoziiere, ist eine neue Erfahrung und rundet meinen Ausflug in die Welt der metalernen Töne ab. Es war an einem Tag im Coronajahr 2021. Ein Zug von 100 Männern, jeweils zu viert in einer Reihe, bewegte sich im Gleichschritt und mit Glocken auf den Schultern durch die Strassen von Bern, um schlussendlich auf dem Bundeshausplatz zu verweilen. Alles was sie zur damaligen Situation in unserem Land zu sagen hatten, übernahm das hallende Geläut, für das sie verantwortlich waren. Ein absolut patriotischer Moment für mich; kein grosses Palaver, sondern ein paar eindringliche Laute die Verbundenheit signalisierten und manch einen zum Nachdenken bewegte.