Tinder ist geschwinder!

Interessiert betrachte ich die Fotos junger Männer, die – mit ihren Namen versehen – auf dem Handy an mir vorbeisausen. Egal ob blond, braun, rot, oder schwarz – für jeden Geschmack ist etwas mit dabei. Fast alle werden sie vom Bildschirm gefegt, was so viel heisst wie: Nein danke, der gefällt mir nicht. ,Würde mich einer optisch ansprechen’ erklärt mir die 27-jährige Paula, ,müsste ich sein Bild nach rechts wischen. Tut der Typ dann dasselbe, haben wir ein ,Match’, führt sie weiter aus. Und das bedeute im besten Fall so viel wie: ,Hi – magst du schreiben, oder so?’

Ich staune. Das ist also im 21. Jahrhundert die boomende Möglichkeit, einen Partner zu finden? Der Mensch als Bestellware, den ich – wie einen neuen Toaster – bequem online ordern kann?

Dafür gibt’s vorab – auch wie beim Toaster – natürlich einige Basisinformationen. Name, Grösse, Gewicht, Anwendungsmöglichkeiten (für etwas Ernstes oder doch nur zum Toasten). Nachdem man im Besitz der wichtigsten Koordinaten ist, wird Stufe zwei gezündet: Man beginnt einander zuzuschreiben. Wenn Sie jetzt aber denken, dass da eine nette Unterhaltung ins Rollen kommt, irren Sie sich. Mehr als fünf bis acht Worte haben die Kommunikationsfetzen selten, die da hin und her geschoben werden. Wo man früher noch kleine, hübsche Texte in netten Umschlägen zugesteckt bekam, heisst es heute lapidar: ,Ich morgen in Zürich - du auch?’ Antwort: ,Nein, schon besetzt, ein andermal’. Das Spannende daran; ein andermal gibt es häufig gar nicht. Viele junge Leute erzählen, dass man wochenlang per SMS Unterhaltungen mit potenziellen Partnern führe, sie fest - und mit einem kleinen Hoffnungsschimmer - in den Alltag einbaue, um plötzlich festzustellen, dass die Verbindung abrupt endet. Eine Erklärung dafür bleibe aus. Und auch auf spezifisches Nachfragen bekomme man keine Rückmeldung, was mich ehrlich gesagt nicht überrascht.

 

Da gelobe ich mir die gute alte Zeit. Wer auf der Suche nach ein Partner war, der musste a) raus und b) sich offiziell anbieten. Ich bin Sandra, gehe heute tanzen und hoffe, dass ich jemanden kennenlerne, der auch Single ist (ganz wichtig) und sich auf etwas Neues einlassen will. Kein vorheriges Abchecken sämtlicher Charaktereigenschaften, Freizeitvorlieben, Essgewohnheiten oder Visionen. Nein, volles Risiko voraus. Sandra traf dann zum Beispiel Silvio und zwar ganz einfach darum, weil der Blickkontakt vielversprechend war und Silvio damals noch kein Handy besass. ER war der Mutige, der SIE ansprach. Daraus ergab sich entweder rein gar nichts und man stand gelangweilt von einem Bein aufs andere, bis einer das Treffen auflöste oder aber man kam sich etwas näher. Weil die Musik im Club nicht bloss dezent im Hintergrund spielte, verschob man sich nach draussen, um sich besser unterhalten zu können. In diesem Zeitraum profitierte man vom Luxus, sein Getränk unbeaufsichtigt als Platzhalter auf dem Tisch oder an der Bar stehen lassen zu können, denn niemandem wäre es in den Sinn gekommen, da eine miese Substanz hinein zu kippen.

An der frischen Luft merkte man schnell, ob Silvio ein Langweiler oder doch der coole Typ von gerade eben war. Auf das erste Treffen folgte ein zweites oder man musste Farbe bekennen; dem Gegenüber erklären, dass aus dieser Bekanntschaft wohl nichts Weiteres wird.

Heute läuft diese unangenehme Aufgabe einfach ab, setzt aber weder Courage geschweige denn Anstand voraus. Schon eine kurze SMS reicht aus, wenn man den anderen nicht mehr sehen oder hören will: ,Ich bin wohl doch noch nicht bereit für etwas Festes’ oder etwas in der Art, werde unverhofft übermittelt, erklärte Paula. Und damit müsse man schon recht zufrieden sein, denn oft herrsche einfach plötzlich Funkstille. Bis Wochen später - wie aus dem Nichts – wieder eine SMS von besagtem Schweiger eintrudle, mit dem Inhalt: ,Ich heute in Zürich - Du?’

Dann doch lieber der Toaster!

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