Kein Brot für Brüder

Zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown nutzte auch ich mit meinem Partner die Möglichkeit, wieder einmal ein Restaurant zu besuchen. Wir freuten uns sehr darauf und schätzen den Umstand sogar, dass im Lokal mehr Platz vorhanden war.

Keine Schulter-an-Schulter-Konsumation; stattdessen gastronomische Wohlfühlmomente – umständehalber sogar entschleunigt. Vor der Pandemie war für mich das Betreten oder Verlassen eines Restaurants - besonders in der Winterzeit - häufig ein nicht zu unterschätzendes Vorhaben. Sich im Labyrinth der Tische unfallfrei zum Sitzplatz zu schlängeln und dabei weder mit der Handtasche, geschweige denn mit der Daunenjacke Gläser umzustossen oder Tischtücher mitzuziehen – war immer wieder eine Herausforderung.

Wir sassen also in einer modernen Gaststube und studierten die Speisekarte.

Orientalischer Salat, Auberginenkaviar, Humus und Joghurt – stachen mir ins Auge und sandten eine wohlwollende Botschaft an meine Magengegend. Vorweg eine Kürbis-Fenchelsuppe, aber nur der Neugier wegen, denn ich wäre nie so mutig, diese beiden Geschmacksrichtungen miteinander zu kombinieren. Mein Freund Paul bestellte den Orientalischen Salat als Vorspeise und wählte zum Hauptgang ein Beefsteak Tatar.

Bald schon wurde in einer einfachen Keramikbowle meine Suppe gereicht. Fast schon etwas neidisch dagegen machte mich der Auftritt von Pauls Teller; eine Inszenierung die zweifelsohne als äusserst gelungen und appetitanregend bezeichnet werden durfte.

Der Blick zurück in meine Suppenschüssel dagegen stimmte mich etwas nachdenklich, denn der Pegelstand löste die Frage aus: Wer hat da bereits genascht? Das bescheidene Stück Brot dazu, machte die Sache auch nicht besser. Mein Partner hingegen schien mit seiner Wahl glücklich zu sein, was mich milde stimmte, in Anbetracht der Tatsache, dass ich bald schon den selben Salat geniessen dürfte.

Dann – nach einer Pause – war es Zeit für den Hauptgang. Etwas konsterniert blickten wir schon, als auch Paul in seinem Brotkorb bloss ein Mini-Baguette vorfand. War Tatar nicht die Mahlzeit, zu welcher man früher Toast und Butter à discrétion reichte?

Beim Blick auf mein Essen war klar, dass der einzige Unterschied zwischen Vor- und Hauptgangsalat im Preis lag, die Menge war exakt die gleiche.

Als wir dann mehr Brot bestellten, hiess es: ,Möchten Sie ein oder zwei Stück?’ Gehörte Brot neu in die Kategorie ,knappe Güter’, fragten wir uns. Wenn ja, was würde das für Auswirkungen auf die Fonduezeit haben?

Wir beschlossen etwas enttäuscht, auf eine Nachspeise zu verzichten, bestellten zwei Tassen Kaffee und die Rechnung. Die kam dann erwartungsgemäss grosszügig daher.

Nur 24 Stunden später - am Bahnhof in Visp. Wir mussten eine Stunde auf den Anschlusszug warten und taten dies in der nächstgelegenen Pinte: volle Teller, einfache Küche, herzliche Bedienung und - bis kurz vor dem Servieren des Kaffees immer mit dabei - ein Körbchen, randvoll mit Brot. Keine Hundert Franken hat uns das Essen gekostet und dieses Mal machten wir uns satt auf den Heimweg.

Einverstanden: Visp ist nicht Bern, aber Hunger ist Hunger.

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Der Kunde ist König – und der König ist tot

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