Der Kunde ist König – und der König ist tot

Eigentlich wollte ich bloss ein Buch von St. Gallen nach Düsseldorf schicken. Mit dem versandbereiten Speditionsgut stand ich am Postschalter, grüsste und schob das Paket unter der Glasscheibe durch. ,Haben Sie die Sendungsdaten schon erfasst?’, fragte mein Vis-à-vis. Was erfasst? – dachte ich mir und erklärte: ,Ich hätte gerne ein grünes Zolletikett, denn ich möchte ein Buch ins Ausland spedieren’. ,Das machen wir seit Januar 2020 nicht mehr’, belehrte mich die Frau unmotiviert und schob mir ein Informationsblatt zu. ,So erfassen Sie die Sendungsdaten online’ – stand drauf.

Ich kam mir vor wie jemand, der nach 20 Jahren im Knast versucht, sich draussen wieder zurechtzufinden; wollte eigentlich bloss von einer stinknormalen Dienstleistung Gebrauch machen. Trotzdem überflog ich kurz die Anleitung. ,Die Daten werden weltweit elektronisch erfasst und dem Bestimmungsland vorab übermittelt’- war da zu lesen. Beeindruckend. Deutschland ist also vorbereitet darauf, dass ein Buch von Frau Stucki aus St. Gallen nach Düsseldorf zu ihrer Kollegin nach Kaast verschickt wird. Nicht, dass ich eine bin, die mit Informationen geizt. Mir doch eigentlich egal, denn viel zu verstecken habe ich nicht. Was wirklich Fragen aufwirft, ist die sich rasant ausbreitende Digitalisierung und deren Folgen. Die Dame hinter dem Schalter sollte sich eigentlich dieselben Gedanken machen. Was wird sie in ein paar Jahren noch zu tun haben, wenn alles elektronisch geschieht? Möglicherweise eine Zeit lang noch alte Querulanten und Skeptiker bedienen, die sich gegen diese Entwicklung sträuben. Aber was, wenn die ausgestorben sind?

Ich erklärte, dass ich die erforderliche App nicht auf meinem IPhone habe – was nicht stimmt, aber ich rebellierte gerade. Deshalb bat ich sie, den Vorgang doch für mich auszuführen. Die Post macht sowas noch – aber für drei Zusatz-Franken – hiess es auf dem Formular. Ich erklärte mich mit der Mehrausgabe einverstanden und die Angestellte waltete ihres Amtes. Das Paket machte sich auf seinen Weg und ich fuhr nach Hause.

Etwas später dann – die Neugier war grösser als mein Unmut – nahm ich das Informationsblatt nochmals zur Hand, scannte den Code und sah, was es da alles zu lesen gab. Was für eine Flut von Informationen. Es fühlte sich an, als ob ich bei einer 800-er Nummer anrufen würde. Erst endlose Fragen, die es mittels Tastenwahl zu beantworten gab; dann, nach zu langer Zeit endlich die Stelle, an der man eingeben konnte, was, zu welchem Zweck und zu welchem Preis man zu versenden gedenke. Ich malte mir aus, wozu die Schalterhallen der Post dereinst wohl genutzt werden könnten, wenn die Angestellten wegrationalisiert sind? So auf die Schnelle fiel mir da nur ein Mega Take-Away ein; gross genug sind diese Räume ja. Aber dafür haben die Digitalisierer sicher auch schon eine tolle Lösung bereit.

Ich habe irgendwo gelesen, dass immer mehr Menschen diesen Planeten bevölkern werden und immer weniger Arbeit zu verrichten sein wird. Man darf also gespannt sein, was da noch alles auf einen zukommt. Dienstleistungen jedenfalls – werden wohl oder übel durch Do it yourself ersetzt. So ein Zwanzig-Frankenbuch kostet übrigens auch zwanzig Franken, bis es in Düsseldorf ankommt. Wenn fliegen aber inskünftig noch billiger wird, dann werde ich das Geschenk zum nächsten Geburtstag persönlich vorbeibringen; die Post hat dann nichts mit mir zu tun und Susanne freut sich bestimmt auch.

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Kein Brot für Brüder