Kurzbericht aus dem literarischen Schlaraffenland
Die Buchmesse in Leipzig stand schon immer auf meiner To-do-Liste; dieses Jahr hat es endlich geklappt. Gross waren meine Erwartungen – alle wurden übertroffen. Nach einer knappen halben Stunde Tramfahrt erreicht man vom Zentrum aus bequem das Messegelände, dessen Grösse für einen Schweizer eine andere Dimension darstellt; fünf Hallen auf über 100'000 m2, drei davon für die Genres Belletristik, Sachbücher, Religion und Internationales, die anderen beiden für Manga-Comic-Con, Kinder- und Jugendbücher. Eingebettet zwischen diese Ausstellergebäude ist die beeindruckende Glashalle, in der die Buchpreisverleihungen stattfinden und sich ARD, ZDF und 3sat mit der Produktion interessanter Sendungen abwechseln. Prominente aus Politik, Wirtschaft und Unterhaltungsindustrie stellen dabei ihre Neuerscheinungen vor.
Der Kanzler Olaf Scholz eröffnete die viertägige Messe, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erschien tags darauf in den Hallen. Beide wurden während ihren Reden von buhenden Aktivisten gestört, sieben davon mussten sogar abgeführt werden. ,Kommunikation geht anders als provokatives Gebrüll’, liess Steinmeier dazu verlauten.
Aus der Filmbranche durfte man Uschi Glas, Katja Riemann und Sky du Mont bewundern, die alle mehr zu bieten haben, als seichte Fernsehunterhaltung. Vor Reiseantritt habe ich genügend Platz in meinem Koffer reserviert, um das eine oder andere Exemplar zu kaufen. Nachfolgend ein paar Empfehlungen. Sky du Mont wirbt für sein achtes Buch mit dem Titel: ,Ich freu mich schon auf Morgen’ und setzt sich humorvoll mit dem Altern auseinander. Sein Fazit: Früher war auch nicht alles besser.
In Katja Riemanns, Zeit der Zäune’ berichtet sie über die aktuellen Flüchtlingsströme. Sie reiste dafür ohne Team an die Orte, an denen Menschen vorübergehend leben. Dass gute Geschichten nicht zwangsläufig 800 Gramm-Wälzer sein müssen, veranschaulicht Margret Steckel in ihrer handflächengrossen Novelle ,Mutterrache’ auf 50 Seiten. Eine Mutter sitzt am Heiligabend alleine zuhause und wartet, wie jedes Jahr, auf den Anruf ihrer entfremdeten Tochter. Ergreifend geschrieben, ohne Weihnachtszauber aber mit bitterem Nachgeschmack.
Einen Meilenstein in der Sparte Investigativer Journalismus - und zwar lange vor Günter Wallraff - setzt Nellie Blys Reportage ,Zehn Tage im Irrenhaus’. Sie entführt die Leser als verdeckte Reporterin in die New Yorker Frauenpsychiatrie des Jahres 1887, ganz nach dem Motto: Wahnsinn vortäuschen, um Anstalts-Gräuel zu enthüllen und Fehlfunktionen des Systems aufdecken.
Die Schweizer Autorin Regula Portillo hat mit dem lebensbejahenden Roman ,Wendeschleife’ aufgezeigt, wie Zufälle einen Alltag plötzlich verändern und in schweren Zeiten neue Freundschaften entstehen können.
Tahir Hamut Izgils Notizen ‚In Erwartung meiner nächtlichen Verhaftung’ sind die mitreissende Schilderung einer erfolgreichen Flucht aus China und eine weitere Mahnung an den Westen, die Augen auch auf diesen Teil des Erdballs zu richten.
Fazit nach meiner ersten Leipziger Buchmesse: Unbedingt wieder hingehen, ins Schlaraffenland der Bücherfans!